Ein Urschrei gellt durch die Bukarester Mehrzweckhalle. Denis Kudla peitscht ihn durch die Zähne, ballt die Faust. Gerade hat der Ringer des SV Alemannia Nackenheim den armenischen Weltmeister von 2017 niedergerungen.

Und Kudla ist damit wieder im Spiel, hat nur noch einen Kampf zu gehen bis zur Bronzemedaille bei dieser Europameisterschaft in Rumänien. Am Abend wird er sie holen. Und das obwohl tags zuvor Edelmetall noch ganz weit weg zu sein schien.

Rückblick: Bereits in der Qualifikationsrunde hatte der deutsche Greco-Ringer (87 Kilo) verloren – ganz bitter gegen seinen Dauer-Rivalen Islam Abbasov. 1:1 hieß das Ergebnis, der Aserbaidschaner gewann nur, weil ihm die letzte Wertung gehörte. „Natürlich war Denis in erster Linie frustriert“, berichtet Bundestrainer Michael Carl, aber auch: „Er ist Profi genug und wusste, dass er weiter eine Chance hatte.“ Kudla musste bangen, zwangsläufig Abbasov die Daumen drücken und hoffen, dass sein Bezwinger ins Finale einzieht. Und so kam es wie 2016 bei Kudlas Olympia-Bronze-Triumph in Rio. Abbasov erreichte den Endkampf und der Deutsche durfte nochmal ran: in der Hoffnungsrunde. Und deren Namen machte Kudla alle Ehre, entfachte aus dem Funken Hoffnung ein Riesenfeuer, besiegte den Olympiasieger Davit Chakvetadze (3:3) – diesmal, weil er selbst die letzte Wertung bekam. Kudla war zurück im Spiel, einen Urschrei brachte er allerdings noch nicht hervor. Dafür war das Duell gegen den Russen zu kraftraubend gewesen. Ausgepumpt drückte er gerade noch so den Siegerarm nach oben. „Sein Kampfgeist ist Wahnsinn“, wusste Coach Carl durchweg um die Mentalität seines Schützlings und sah, wie er innerhalb kürzester Zeit den nächsten Hochkaräter aus dem Weg räumte: Ein heißer Tanz gegen Europameister und Ex-Weltmeister Maksim Manukyam, ein Fehler des Armeniers und die Tür zum kleinen Finale stand offen. Der Deutsche ging hindurch, drückte den Armenier auf die Schultern, die Höchststrafe.

Und dann brüllt Kudla seine ganze Restenergie hoch ins Gebälk der Bukarester Mehrzweckhalle. Schon wieder ist Edelmetall für den erst 24-jährigen Schifferstädter zum Greifen nahe.

Er greift zu, bringt den Weißrussen Mikalai Stadub anderthalb Minuten vor dem Schlussgong zu Fall, siegt 3:1 nach Punkten, im dritten Kampf an nur einem Tag. „Er ist unser Mister Zuverlässig“, lobhudelt Nationaltrainer Carl. Die Manier, in der Kudla die EM-Kämpfe für sich umbog – für Carl „eine Klasse für sich“.

WM und Olympia haben Priorität

Dass, wenn der allererste Kampf nicht so unglücklich verlaufen wäre, für Kudla sogar mehr drin gewesen wäre, war hingegen für den Nationalcoach nicht weiter schlimm. Weil die EM beim Alemannia-Ringer nicht allerhöchste Priorität hat. „Das große Ziel ist, Weltmeister zu werden und bei Olympia Rio noch zu toppen“, bekräftigt Carl. Bukarest diente als Gradmesser für die WM im Spätsommer, das Eintrittsportal für Tokio 2020. Nach Bukarest lässt sich ohne Zweifel sagen: Kudla ist schon auf Temperatur.